Nach der Bergung des über 600 Jahre alten
Wracks vor der Insel Reichenau beginnt für die Archäologen nun die Analyse:
Wie alt ist das Schiff genau und wozu diente es? Der Schiffsarchäologe Dietrich
Hakelberg freut sich auf die Untersuchung des Wracks im Labor.
Dietrich Hakelberg weiß ungefähr, was ihn
erwartet. Zwar hat er das mittelalterliche Wrack, das am Donnerstag vor der
Insel Reichenau aus dem Bodensee geborgen wurde, noch nicht im Original gesehen
– aber Pläne und Bilder von den Teilen geben ihm erste Anhaltspunkte. In der
kommenden Woche beginnt der 40-jährige Schiffsarchäologe mit der genauen
Untersuchung des seltenen Fundes in Hemmenhofen bei Gaienhofen. Dort hat das
Landesamt für Denkmalpflege eine Fachabteilung für Unterwasserarchäologie.
Dietrich Hakelberg muss vorsichtig sein: Das
alte Holz ist ziemlich anfällig und darf so wenig wie möglich mit Sauerstoff
in Berührung kommen. Die Taucharchäologen haben die Teile gleich nach der
Bergung in Folie eingewickelt, um sie vor dem Austrocknen zu schützen.
Hakelberg wird das Holz nun auswickeln, reinigen und zeichnerisch
rekonstruieren, wie die Planken zusammengesetzt waren und wo Holznägel saßen.
So viel steht bislang fest: Das Schiff ist etwa neun Meter lang und 1,8 Meter
breit. Es besaß Mast und Segel. Die Bauweise ähnelt den großen hölzernen
Fischerschiffen, die am Untersee bis ins 20. Jahrhundert verwendet wurden. Eine
zentrale Frage für den Schiffsarchäologen ist nun das genaue Alter des
Reichenauer Wracks. „Es stammt aus dem späten Mittelalter“, sagt Dietrich
Hakelberg. „Wenn wir Holzproben nehmen, können wir anhand der Jahresringe das
Schlagjahr der Bäume feststellen.“ Überhaupt ist die Holzoberfläche
besonders interessant: „Menschen haben darauf ihre Spuren hinterlassen. Das
Holz gibt mir Hinweise auf die Nutzung des Schiffs“, so Hakelberg.
Sein nächster Schritt ist dann der Vergleich
des neuen Fundes mit dem bislang ältesten Schiff, das im Bodensee entdeckt
wurde. Der Lastensegler von 1340 ist im Archäologischen Landesmuseum in
Konstanz ausgestellt. Dietrich Hakelberg hat dieses Schiff, das er selbst zufällig
am Kippenhorn bei Immenstaad gefunden hat, ein Jahr lang „nach allen Regeln
der Kunst auseinandergenommen.“ Besonders spannend ist für ihn nun die Frage,
wie sehr sich das 20 Meter lange Schiff und das viel kleinere Reichenauer Wrack
in der Bauweise ähneln. Hakelberg will durch einen Vergleich mit
Fischerschiffen aus dem 20. Jahrhundert die Frage klären, ob es am Bodensee
eine Schiffsbautradition gibt, die bis ins Mittelalter zurückreicht. „Noch
heute sind im Schweizerischen Ermatingen Schiffe zu sehen, die erst 50 bis 70
Jahre alt sind und in Teilen den mittelalterlichen Fahrzeugen ähneln“, sagt
der Archäologe.
Nach all diesen Untersuchungen wird das Wrack
in ein paar Wochen wieder im Bodensee versenkt, um es zu schützen.
„Holzkonservierung ist ein Riesenproblem“, sagt Hakelberg. Das Schiff aus
Immenstaad wurde in eine Zuckerlösung getaucht. „Aber das funktioniert nicht
richtig“, sagt der Archäologe. „Die Hölzer sind geschrumpft und haben sich
verzogen.“
Für Dietrich Hakelberg ist die Untersuchung des neuen Fundes auch nach vielen Berufsjahren keine Routine. „Jedes Wrack gibt uns mutmaßlich neue Erkenntnisse zur mittelalterlichen Bauweise und zum Bodensee als Verkehrsdrehscheibe“, sagt er und fügt begeistert hinzu: „Schiffe sind ja immer auch was Emotionales.“
(Südkurier v. 07.11.09)
Wracks im Bodensee: Das älteste Schiff
Das bislang älteste Schiff, das im Bodensee gefunden wurde, stammt von 1340. Der mittelalterliche Lastensegler ist knapp 20 Meter lang. Der Archäologe Dietrich Hakelberg hat ihn 1981 am nördlichen Bodenseeufer bei Immenstaad entdeckt. Der Lastensegler ist das erste Glied in einer Schiffbautradition, die vermutlich vom Mittelalter bis in das frühe 20. Jahrhundert reichte.
(Südkurier
v. 07.11.09)