Neues Flaggschiff auf dem
Bodensee
Noch ist der Name des „schönsten und größten“ Fahrgastschiffs der Bodensee-Schiffsbetriebe geheim. Er wird erst bei der Taufe am Samstag, 19. Juni, am Überlinger Landungsplatz bekannt gegeben.
Der Schiffsbug ist noch ohne Buchstaben und
bis zur Taufe des neuen Flaggschiffs der Bodensee-Schiffsbetriebe (BSB) redetet
man bei der BSB nur von „MS Neubau“ oder „MS 2010“. Schließlich bringe
es Unglück, den Schiffsnamen vorher zu verraten. Und dann soll ja auch die
Spannung bleiben, bis Überlingens Oberbürgermeisterin Sabine Becker am
Samstag, 19. Juni, das künftig größte Fahrgastschiff der BSB am Überlinger
Landungsplatz tauft.
Dass auf dem Bug dann auch noch eine Flaschengärung
zerschlagen wird, die aus den Weinbergen der ehemals freien Reichsstadt stammt,
könnte man nun als Hinweis darauf nehmen, dass der Name tatsächlich „Überlingen“
sein wird, wie man sich dort seit Jahren erhofft – und nicht „Mainau“, was
auch im Gespräch ist. Nachdem mit der Ausmusterung der vierten „Überlingen“
2005 erstmals seit 1895 kein Schiff mehr den Namen der Fremdenverkehrsstadt über
die Wellen des Sees trägt, wurde die Namensgebung am nördlichen Seeufer sogar
zum Politikum. Der Name liege nahe, heißt es bei der BSB, denn MS 2010 wird den
Kursverkehr im Überlinger See abwickeln, also von Konstanz aus die
touristischen Hauptdestinationen Meersburg, Mainau, Unteruhldingen, Überlingen
anfahren. Und Mainaugräfin Bettina sei ja auch eingeladen.
Groß war das Echo auf die gestrige medienöffentliche
Präsentation der „MS Neubau“ und es herrschte unter Presse- und
Rundfunkleuten Einigkeit darüber, dass dieses „schönste und größte
BSB-Schiff“ tatsächlich eine rundum gelungene Konstruktion ist. Hochmodern,
doch in der Formensprache der Tradition verpflichtet, wie die beiden BSB-Geschäftsführer
Jörg Handreke und Stefan Ballier während der kurzen Fahrt im Konstanzer
Trichter verdeutlichten.
Das betagte MS Baden, das 2009 im Liniendienst auf dem Überlinger See 28.800 Kilometer zurücklegte und 322.000 Fahrgäste beförderte, wird künftig geschont und ist von Lindau aus im Obersee unterwegs. Und es wird erhalten: Nachdem seit Dezember 2009 Rechtssicherheit herrsche, sagte Handreke, dass die strengen EU-Richtlinien nicht vollumfänglich in der Bodensee-Schiffahrtsordnung umgesetzt werden müssen, wurde bei der BSB das Flottenkonzept neu ausgerichtet. Ursprünglich sollten alle alten Schiffe bis spätestens 2034 ersetzt werden. Nun zählen auch wieder Denkmalschutz und Traditionen. „Wir wissen, dass viele Menschen unseren alten Schiffen emotional verbunden sind“, sagte Handreke.
(Südkurier v. 12.06.10)
Was
für ein Traum von einem Schiff! Wenn die Geschäftsführer und Mitarbeiter der
Bodensee-Schiffsbetriebe gestern bei der pressöffentlichen Vorstellung ihres
neuen Flaggschiffs stolz waren, dann durften sie das mit Fug und Recht. Die Erklärung,
in dem Neubau eine moderne Konstruktion in der Tradition der klassischen
Formsprache der Bodenseeschiffe auf den Kursdienst im Überlinger See zu
schicken, ist absolut berechtigt.
Das MS 2010 ist ein großer Wurf. Danke, liebe
BSB, dass wir auf unseren Überlinger See keine futuristischen Designerfingerübung
wie das kopflastige „MS Lindau“
bekommen – oder gar ein total überdimensioniertes kubistisches Hausboot wie „MS
Graf Zeppelin“. Sorry, aber das musste mal gesagt sein.
Zu Recht verwiesen die BSB-Verantwortlichen
gestern auf die starke emotionale Bindung, die die Menschen am See zu den
Schiffen auf ihm haben. Deshalb darf man nun auch endlich aufatmen und braucht
keine Angst mehr zu haben, dass die letzten alten Bodenseeschiffe auf dem Altar
der EU-Richtlinien geopfert werden. Wenn BSB-Geschäftsführer Jörg Handreke
ein gegenüber 2005 korrigiertes Flottenkonzept beschreibt, in dem Moderne und
Tradition gleichermaßen Platz haben, dann ist das der richtige Weg in die
Zukunft.
Schön, dass es auch in Zukunft
Traditionsschiffe geben wird. Dass sie längst nicht so wirtschaftlich betrieben
werden können wie ein Neubau, dass die Nostalgie ihren Preis hat, muss dabei
allen Liebhabern klar sein. Und wer einmal auf der nicht nur prächtigen,
sondern auch symphatisch daherkommenden MS 2010 mitfuhr, der weiß indes, dass
es bei aller Nostalgie solcher Schiffe dringend bedarf. Es ist wie beim Auto:
Oldtimer haben zwar Charme, aber röhren, zittern und entsprechen eben in keiner
Weise den heutigen Sicherheitsansprüchen.
Wirtschaftlichkeit, Umweltschutz und
Materialermüdung zwingen dazu, alte Schiffe auszumustern und neue zu bauen.
Wenn die Ersatzbeschaffungen so aussehen wie MS 2010, dann wird die Beliebtheit
der Weißen Flotte auch in Zukunft nicht leiden. Man muss nur einmal mit ihm geräuschlos
und sanft durch die Wellen gleiten und dann begreifen, dass dieses Vergnügen
damit endlich auch für gehbehinderte Menschen oder solche im Rollstuhl leicht möglich
ist: Das Schiff ist problemlos zu besteigen und drinnen bringt einen ein Aufzug
zu allen Decks, Toiletten inklusive. Solche Schiffe sind dringend nötig. Nicht
nur, weil sie rund 30 Prozent weniger Treibstoff brauchen als ihre Vorgänger.
Die Menschen um den Überlinger See dürfen
sich auf ihr neues Schiff freuen – jetzt muss aus Sicht der ehemals freien
Reichsstadt nur noch der Name stimmen. Nächsten Samstag wissen wir's.
(Kommentar: Martin Baur/Südkurier v. 12.06.10)