Ob es an der Bäckerskost liegt, die er in seiner Kindheit erhalten hat, oder doch eher an der Seeluft? Der 101jährige Albert Hug, der am 8. Januar 1909 in eine Bäckersfamilie hineingeboren wurde, ist der älteste männliche Romanshorner. Sein Geheimnis, wie er das hohe Alter erreicht hat, will er nicht verraten. Möglicherweise liegt es in den Genen: «Ein Bruder wurde soeben 100jährig, ein weiterer ist 98, eine Schwester 99», zählt er auf.
Aufgewachsen im «Holzestoh»
Albert Hug sitzt in seiner kleinen, gemütlichen Wohnung in der Alterssiedlung Holzenstein und unternimmt eine Reise in seine Vergangenheit. Weit geht es vorerst nicht, denn aufgewachsen ist er im gleichen Quartier. «Im Holzestoh», präzisiert er. Denn damals gehörte das Gebiet noch nicht zu Romanshorn. Mit dem eigenen Dialekt hätten sich die Holzensteiner abgegrenzt. «Wir haben als Kinder auf der Strasse Schlagball gespielt. Wenn ein Auto kam, mussten wir ausweichen», erinnert sich der Bäckerssohn. «Nachmittags fuhr eines vorbei, abends ein zweites.»
Waschen im Bodensee
13 Kinder seien sie insgesamt gewesen,
erinnert sich Albert Hug. «Acht Mädchen und fünf Buben, ich war in der
Mitte», sagt er. Die Mutter hätten sie
verehrt und sie nicht geduzt – wohl eins ihrer Mittel, die Kinderschar im Zaum
zu halten. Als Bäckersfamilie gehörten
die Hugs zu den ersten der Region, die im Besitz eines Telefonapparates waren.
So sei es vorgekommen, dass die Kinder
einen Notruf über mehrere Kilometer ausrichten mussten. «Zum Beispiel bis nach
Uttwil.»
Eine weitere technische Errungenschaft, die heute zur Grundausrüstung eines
Wohnhauses gehört, ist die Waschmaschine, ohne
die Albert Hugs Mutter noch jahrelang auskommen musste. So habe sie sich jeweils
mit anderen Müttern am Hafen getroffen
und im Bodensee die dreckige Wäsche gereinigt. «Zum Trocknen wurden die
Kleider auf Kieshaufen gelegt.»
Ohne Radar im Nebel
Bei so vielen Geschwistern sei es ihm nicht möglich gewesen, einen Beruf zu erlernen. «Ich habe zuerst als Knecht im Horchental bei Mörschwil gearbeitet», erzählt Albert Hug. «Mit dem Fuhrwerk haben wir jeweils die Milch nach St. Gallen gebracht.» Später kam er dann zur Bahn, wobei er direkt auf dem Schiff eingeteilt wurde. Denn die Bahn- und die Schifffahrt gehörten damals zusammen. 40 Jahre lang arbeitete Albert Hug als Kapitän auf dem Bodensee. Er präsentiert ein Foto, das ihn 1966 bei der letzten Fahrt des Dampfschiffes «Rhein» zeigt.
Lokführer vergaß zu bremsen
An zwei Erlebnisse erinnert sich der ehemalige
Kapitän Albert Hug mit einem Schmunzeln. «Einmal fiel beim Verladen eines
Zuges eine Loki in den Hafen. Der Lokführer hatte vergessen zu bremsen. Die
Loki musste dann mühsam herausgefischt
werden.» Ein andere Anekdote betrifft das Fehlen des Schiffsradars, der erst
später eingebaut wurde. «Im Nebel war es
schwierig, den Weg zu finden.» So sei er einmal anstelle von Friedrichshafen in
Lindau gelandet, da der Sturm das Schiff
abgetrieben habe.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Schifffahrt auf dem Bodensee
eingestellt. In dieser Zeit arbeitete Albert Hug in
Sulgen bei der Bahn. Auf dem See habe er sich aber wohler gefühlt. Obwohl
Romanshorn früher ein richtiges Eisenbahndorf
gewesen sei, habe er sich nicht einem Verein angeschlossen und war selten mit
den Bähnlern zusammen. «Ich habe mich
jeweils nur mit meinen Arbeitskollegen getroffen. Vielleicht haben wir uns ja
auch einfach gedacht, wir seien schöner»,
scherzt er.
Mit dem jüngsten Urenkel
Vermisst habe Albert Hug in Romanshorn nie etwas, auch nicht die Berge. Was er aber von früher vermisst, sind die Bäckereien und Metzgereien: «Es gibt fast nur noch große Lebensmittelläden. Früher kannte man jeden, sowohl die Verkäufer als auch die Kunden», erklärt er. Mittlerweile ist er nur noch selten unterwegs. «Wenn mich jemand mit dem Auto mitnimmt, mache ich einen Spaziergang am See.» Doch seine Familie ist präsent. Einerseits mit Besuchen, andererseits auf Fotos an den Wänden. Eins zeigt ihn mit dem jüngsten Urenkel – ein Verwandtschaftsband von 100 Jahren.