Beginn einer neuen Zeit

200 Jahre Friedrichshafen: Der zwölfte Teil der Serie „Der Himmel über dem Bodensee – Blickpunkt Geschichte“ beleuchtet die Anfänge der Dampfschifffahrt

König Wilhelm I. ist ein nüchterner Pragmatiker. Er sieht, dass die wirtschaftliche Situation des Landes verbessert werden muss, dass die Bevölkerung des neuen Württemberg noch keineswegs zusammengewachsen ist und am besten unter einer großen Idee geeint werden kann. Die verbesserten Bedingungen für die Landwirtschaft hat er schon eingeführt, aber die Industrialisierung könnte einen noch größeren Effekt haben. Die ersten Versuche mit der Dampfkraft als Schiffsantrieb haben an anderen Orten bereits stattgefunden; Wilhelm wählt für seine Zukunftsvision die neue Sommerresidenz Friedrichshafen aus. Hier wird ein im August vom Stapel gelaufenes Segelschiff mit der neuesten Technik ausgerüstet. Das Projekt ist dem König durch mehrere aufklärerische, weitgereiste und finanzstarke Visionäre des heraufkommenden Industriezeitalters nahegebracht worden: den Berner Patrizier C.V.v. Bonstetten, den Stuttgarter Hofbeamten Matthiessen und insbesondere den US-Konsul und Schiffsbauunternehmer Edward Church. Finanziert wird das Unternehmen nicht vom König, sondern auf Initiative des Stuttgarter Verlegers Freiherr von Cotta von der Friedrichshafener Dampfschifffahrtsgesellschaft AG. Vorher hat Finanzminister Weckherlin natürlich alles genau geprüft und zur Freude von Kaufleuten wie Lanz für geeignet befunden. Zu den finanziellen Notwendigkeiten gehörte allerdings auch die Abfindung für die acht eingesessenen Friedrichshafener Schifferfamilien, die jetzt um ihre Existenz fürchten und sich als schwierige Verhandlungspartner erweisen – das Traditionsgewerbe als Verlierer pokert so hoch wie möglich.

Im November findet der Stapellauf statt. Er wird misstrauisch beäugt, denn im April es ist ihm ein missglückter Versuch eines Konstanzer Tüftlers vorangegangen. Aber alles geht gut und schon am 1. Dezember 1824 wird mit der ersten Kursfahrt Friedrichshafen – Rorschach der Betrieb des Dampfschiffs „Wilhelm“ zum Transport großer Mengen von Gütern und zum Schleppen von Anhängeschiffen aufgenommen. Mit seinen 21 PS und maximal 10,5 km/h wird es zwar bald zum „Seeschneck“, doch es folgen 1839 der „Kronprinz“ (50 PS, 15 km/h), 1870 umgebaut zu „König Karl“ mit 200 PS und 21 km/h. 1847 bis 1862 folgt der Bau des heutigen Hafenbeckens. Das ist der Beginn der neuen Zeit, die bald mit dem Bau der Eisenbahn, des Hafenbahnhofs und der Aufnahme des Trajektverkehrs neue Gewinner und Verlierer schaffen wird.

Das Stadtjubiläum im Internet: www.suedkurier.de/200jahre

(Südkurier v. 04.08.11)

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