Die letzte Reise der "Helvetia"

Vor 80 Jahren im Obersee versenkt

Nach 45 Betriebsjahren verabschiedete sich der Dampfer "Helvetia" aus dem aktiven Dienst bei der schweizerischen Bodenseeflotte in Romanshorn. Wenn auch nicht mehr sichtbar, blieb zumindest der ausgeweidete Rumpf dem Bodensee erhalten, denn er ruht seit dem 27. Oktober 1932 auf dem Grund des "Tiefen Schweb", dem 200-Meter-Graben im Obersee. Sein offizieller Ersatz, das im Mai 1932 in Dienst gestellte Motorschiff "Thurgau", befindet sich dagegen, wenn auch mehrfach modernisiert, noch heute in Betrieb. Das Schicksal der "Helvetia" teilte am 2. Mai des darauf folgenden Jahres auch der kleinere, fünf Jahre jüngere Dampfer "Säntis". Ausschlaggebend für diese Maßnahmen, waren die damals als eine Folge der Weltwirtschaftskrise extrem niedrig gehandelten Schrottpreise. Auch der Schiffsrumpf des ersten Salondampfers auf dem Bodensee, der "Kaiser Wilhelm" und nachmaligen "Baden" wurde schon im Jahre 1931 im westlichen Teil des Obersees versenkt.

Bei der Indienststellung am 21. Juni 1887 durch die damalige Schweizerische Nordostbahn-Gesellschaft, war die neue "Helvetia" eine ebenso elegante wie stattliche Einheit. Gemeinsam mit der zwei Wochen zuvor in Dienst gestellten österreichischen "Kaiserin Elisabeth", zählte die "Helvetia" zu den ersten Bodenseeschiffen, die von Anfang an mit einer elektrischen Beleuchtungsanlage ausgerüstet waren, die von einem Laval-Dampfgenerator gespeist wurde. Das Beispiel dieser beiden Schiffe machte sofort Schule und bis 1896 waren alle älteren Dampfschiffe bis auf wenige Ausnahmen mit Dampfgeneratoren zur Stromerzeugung nachgerüstet worden.

Der markant geschwungene Clipperbug der „Helvetia“ erinnerte noch an die Anfangszeit der Dampfschifffahrt auf dem Bodensee, denn damals war von den anderen Unternehmen längst die schon seit Jahren übliche, senkrechte Stevenform bevorzugt worden. Eine weitere Eigenheit war die Tatsache, dass die „Helvetia“ erst im Jahre 1904, bei der Fusion der Nordostbahn durch die Schweizerischen Bundesbahnen mit einem Großmast und der damals bei allen Bodenseeschiffen üblichen Signalrahe ausgerüstet wurde.

Die „Helvetia“ war das erste „echte“ Salonschiff der Romanshorner Flotte und war ebenso wie die anderen „Zeitgenossen“ in der damals Bodensee-spezifischen Halbsalonbauweise abgeliefert worden. Wie die Mehrzahl der damals auf dem Bodensee verkehrenden Dampfschiffe, entstammte auch die „Helvetia“ aus den Werkstätten der namhaften Zürcher Maschinenfabrik Escher Wyss & Cie. Das Zeitalter der Salonschiffe hatte auf der Schweizer Seite mit einem Umbau der „Zürich“ im Jahre 1884 begonnen. Der stattliche, zunächst für 550 und später für 700 Personen zugelassene Dampfer verkehrte das ganze Jahr über auf den damals von den schweizerischen Schiffen befahrenen Verbindungen von Romanshorn nach Friedrichshafen und Lindau sowie auf der Route Rorschach-Lindau. Der Hecksalon mit seinen Nebenräumen war mit neobarocken Stilelementen ausgestaltet, die Sitzmöbel mit grünem Samtplüsch überzogen. Die Zweizylinder-Verbundmaschine mit einer Leistung von 500 Pferdestärken verlieh der “Helvetia“ eine durchschnittliche Höchstgeschwindigkeit von 25,5 km/h. Für den Neubau mussten von der Schweizerischen Nordostbahn-Gesellschaft 273.234 Franken aufgewendet werden.

Mit einer Leerverdrängung von 273,4 Tonnen erwies sich die „Helvetia“ bald als ein sehr robustes und seetüchtiges Schiff, das ohne nennenswerte Schwierigkeiten auch die heftigsten Stürme auf dem Obersee abreiten konnte. Über das Sommerhalbjahr war die „Helvetia“ auch häufig als Sonderschiff unterwegs. Zahlreiche Ausflugsfahrten führten an das benachbarte deutsche Ufer nach Meersburg, die Insel Mainau, Überlingen und sogar bis nach Bodman. Besonders beliebt waren in den Hochsommermonaten auch die Fahrten auf dem damals noch für große Einheiten schiffbaren Alten Rhein bis nach Rheineck.

Einer der ersten Höhepunkte innerhalb der 45-jährigen Laufbahn war die Rolle der „Helvetia“ als Beleuchtungsschiff im Konstanzer Hafen. Anlässlich des ersten Besuches des neugekrönten Kaiser Wilhelm II. am 29. September 1888 auf der Insel Mainau und in Konstanz, wurde die „Helvetia“ von der Stadtverwaltung der Konzilstadt für die späten Abendstunden als „Leuchtgirlandenschiff“ angemietet. Diese Rolle war eigentlich der neuen „Zähringen“ zugedacht, die aber wegen eines im August erlittenen Maschinendefektes in der Werft lag.

Als im Mai 1932 das neue Motorschiff „Thurgau“ dem Querverkehr zwischen Romanshorn und Friedrichshafen zugeteilt wurde, sollte die „Helvetia“ gegen Jahresende aus der Flottenliste gestrichen werden. Aber das Ende kam früher als erwartet. Am 21. August lief die „Helvetia“ zu einer der letzten Sonderfahrten nach Lindau aus. Auf der Rückfahrt brach vermutlich wegen Materialermüdung ein Radarm des backbordseitigen Schaufelrades. Die manöverierunfähige „Helvetia“ musste von der „St. Gallen“ nach Romanshorn eingeschleppt werden. Da das Schiff ohnehin zur Ausmusterung vorgesehen war, wurde auf eine Reparatur verzichtet. In den Monaten September und Oktober wurde der Dampfer samt der Maschinen- und Kesselanlage unter dem großen Hammerkran im Romanshorner Werfthafen vollständig ausgeschlachtet. 

Am 27. Oktober wurde der ausgeweidete Schiffsrumpf von der „Thurgau“ auf die Seemitte geschleppt. Das Ehrengeleit gab der letzte, für die Romanshorner Bodenseeflotte gebaute Dampfer „Rhein“ aus dem Jahre 1906. Nach Öffnen der Bodenventile versank die Schale der „Helvetia“ unter dem Sirenengeheul der Begleitschiffe mit wehender Bugflagge für immer im „Tiefen Schweb“ zwischen Romanshorn und Langenargen.

(Text und Bild: Karl F. Fritz)

zurück