Am Tag
danach sind die Seebrücken-Macher
mit sich und der Welt zufrieden
Entspannung,
tiefe Zufriedenheit, Glück: Das haben gestern bei einer Nachbesprechung die
Organisatoren der sonntäglichen Schiffsbrücke über den Bodensee ausgestrahlt.
Jetzt hoffen sie, mit dem Verkauf von Luftbildern vom Ereignis reichlich Spenden
einzuspielen.
Wetter
optimal, Planung perfekt umgesetzt, Medienecho enorm, Stimmung auf den Schiffen
bestens - den Machern der Schiffsbrücke von Friedrichshafen nach Romanshorn ist
gestern auch beim besten Willen nichts Negatives zu entlocken. "Das war
einfach ein absolut würdiges Fest", bilanziert Reinhard Kloser,
Seniorkapitän der "Hohentwiel".
Erinnerung an die Hilfe der Schweizer für deutsche und österreichische Kinder
nach dem Krieg einerseits, Aufmerksamkeit für das Anliegen des Vereins
"Schweizer Kinder" (Hilfe für Not leidende Kinder) andererseits -
beide Ziele hat die Brücke nach Einschätzung des Organisationsteams erreicht.
Dass
nicht alle an Land gebliebenen mit dem Ereignis zufrieden waren, ist den Machern
bewusst, sei aber nicht anders zu regeln gewesen. Vor allem vom Häfler Ufer aus
brauchte man einen scharfen Blick, um die Brücke zu erkennen. "Das ging
nicht anders", erklärt Heinz Unglert, Chef der Wasserschutzpolizeistation
Friedrichshafen. Das Wasser vor der Uferpromenade ist flach und kaum befahrbar.
Außerdem habe man eine Fahrrinne für andere Schiffe, zum Beispiel den
Katamaran, freihalten müssen. Und schließlich habe es bei vielen Bootsführern
einen Drang zur Mitte gegeben, dorthin, wo das Flugboot Do 24 lag.
Auch
oben war einiges los. Das Organisationsteam schätzt, dass bis zu 20
Luftfahrzeuge unterwegs waren. Und auch wenn es für Laien ein bisschen riskant
aussah: Für den Zeppelin NT bestand durch die anderen Flieger keine Gefahr,
bestätigt Marion Berg, die für das Luftschiff die Öffentlichkeitsarbeit
macht.
Spendenhöhe
noch unbekannt
Für
den Verein "Schweizer Kinder" dürfte die elf Kilometer lange
Schiffsbrücke, an der sich 10.000 Menschen in 2.000 Booten beteiligt haben, ein
sattes Plus in der Vereinskasse bedeuten. Reeder und Piloten wollen einen Teil
ihrer Erlöse spenden. Eine Summe konnte Hildegard Nagler, stellvertretende
Vorsitzende des Vereins und Ideengeberin der Brücke, gestern aber noch nicht
nennen.
Weitere Einnahmen, die direkt in die Hilfe für Not leidende Kinder fließen sollen, erhofft sich der Verein durch den Verkauf von Luftbildern, der heute gegen 14 Uhr im Internet beginnt. Unter www.schweizer-kinder.de kann man Bilder von der Brücke online bestellen. Die Fotos gibt es zudem bei Foto Porst in der Häfler Wilhelmstraße. Vorrätig ist auch noch ein Sonderdruck der SZ zur Seebrücke, der kostenlos in der SZ-Geschäftsstelle in der Schanzstraße 11 abgeholt werden kann. Und auch wenn mancher auf Wiederholung hofft - die Macher der Schiffsbrücke sind sich sicher: Diese Aktion wird einmalig bleiben.
(Schwäbische
Zeitung v. 22.05.07)
Auf dem Weg zur
Schiffsbrücke zwischen Friedrichshafen und Romanshorn, mit der am Sonntag
kriegsgeschädigte Kinder der Hilfe der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg
gedachten, machten einige auch Station in Rorschach.
Am Samstag sind
vierzehn ehemalige «Schweizer Kinder» aus Wien in Rorschach eingetroffen, um
am Sonntag am Gedenktag für die Hilfsbereitschaft der Schweizer Bevölkerung
teilzunehmen. In der Nachkriegszeit durften Zehntausende unterernährte Kinder
aus den zerbombten Nachbarländern in die Schweiz reisen, wo sie wieder aufgepäppelt
wurden. Heute, rund sechzig Jahre später, sitzen die Österreicher wohlgenährt
und guter Dinge auf der Terrasse des Seehotels Rosengarten und genießen mit
Hingabe ein Zürcher Geschnetzeltes: «Es schmeckt so köstlich nach Schweiz.»
Ihr Quartier in
Rorschach sei ein Zufall, weil es nirgends sonst freie Zimmer gab. Doch nun habe
man erfahren, dass die Schiffe, welche die Kriegskinder vor sechzig Jahren vom
deutschen Ufer in die Schweiz brachten, nicht nur in Romanshorn, sondern auch in
Rorschach anlegten: «In diesem Sinne fühlen wir uns hier durchaus am richtigen
Ort.»
Von 1945 bis 1955
verbrachten insgesamt 35 000 österreichische Kinder einen Erholungsurlaub in
der Schweiz. Die Erinnerungen seien aber erst fünfzig Jahre später wieder
wachgeworden. «In der Zwischenzeit waren wir mit dem Wiederaufbau unseres
Landes beschäftigt», sagte Erich Sinor, Präsident des Clubs der ehemaligen «Schweizer
Kinder» aus Wien, Niederösterreich und Burgenland. Nun ist er mit vierzehn
Mitgliedern in das Land zurückgekehrt, «dem wir nicht genug danken können für
all die Hilfsbereitschaft, die man uns entgegenbrachte.» Erst viel später habe
er festgestellt, dass es den meisten Schweizern damals selbst nicht so gut ging
und die Lebensmittel rationiert waren. «Trotzdem haben sie uns geholfen und das
Wenige, was sie besaßen, mit uns geteilt.»
«Schweizer Kinder»
sei in Österreich ein anerkannter Begriff, wobei im Nachbarland der Begriff
zusammengeschrieben («Schweizerkinder») wird, und Erich Sinor unternimmt nun
Anstrengungen, dass das Wort in den Duden aufgenommen wird, um der Nachwelt
erhalten zu bleiben. «Unsere Zeit ist begrenzt, denn wir sind alle schon über
sechzig Jahre alt. Aber solange wir noch leben, wollen wir an unser gütiges
Schicksal erinnern und jede Gelegenheit nützen, der Schweiz unseren Dank
auszusprechen.» Gleichzeitig unterstützen sie gezielt Kinderhilfswerke in
aller Welt. In einer eigenen Clubzeitung – sie heißt «Grüezi» – wird
vierteljährlich über Aktivitäten und Veranstaltungen berichtet. Hauptthema
der nächsten Ausgabe? Natürlich die Reise an den Bodensee mit der Teilnahme am
Gedenktag und der Schiffsbrücke zwischen Romanshorn und Friedrichshafen.
Die Österreicher
sind voller Erinnerungen und erzählen Geschichten, die ans Herz gehen. Von
neuen Schuhen, Schokolade und Bananen, von reich gedeckten Tischen, großzügigen
Pflegeeltern und von liebevollen Gastgeschwistern, zu denen man bis heute in
Kontakt steht. Am Sonntagmorgen fuhren die «Schweizer Kinder» nach Romanshorn
und mit der Fähre nach Friedrichshafen, wo sie nach dem Festakt ihre
reservierten Plätze auf der «Austria»
beziehen werden. «Am Abend kommen wir zurück nach Rorschach, wo wir uns auf
jeden Fall noch umschauen werden, bevor wir nach Wien zurückkehren.»
(Gisela Tobler/St. Galler Tagblatt v. 22.05.07)
Brückenschlag zwischen gestern und heute
Wissen Sie, auch wenn ich noch gearbeitet hätte: Heute wäre ich hierher gekommen." Der 64-jährige Dieter Göllner ist extra aus Pinneberg angereist, um dabei zu sein, wenn diese einmalige Schiffsbrücke an die "Schweizer Kinder" und an die offenen Arme der Eidgenossen von damals erinnert. Er ist ein ferngereistes "Schweizer Kind": 1953 durfte er als "Berliner Sorgenkind" für ein Vierteljahr zur Kur ins Nachbarland - und nannte seine Gastleute seither nur noch Pflegeeltern. Der Kontakt riss bis zu deren Tod nie ab. Dieter Göllner steht am Sonntag am Stand des Häfler Vereins "Schweizer Kinder", informiert und erzählt von damals - und wartet auf Schwester und Nichte seines Pflegevaters. Da ist der ökumenische Gottesdienst bereits aus, und auf den vielen Festschiffen drängen sich die Menschen.
Während Tret- und Ruderboote, Segel- und Motoryachten aus dem Hafenbecken auslaufen und am Schiffsanleger der Festakt läuft, erzählt Kurt Linse, 66-jähriger Ur-Häfler, warum er ein bisschen traurig ist. Eigentlich war geplant, dass er - wie so viele "Schweizer Kinder" - sich am Tag des Brückenschlags zwischen Friedrichshafen und Romanshorn mit seiner Gastmama von damals trifft - wie so oft in den vergangenen 60 Jahren. Doch am 8. Mai hat er sie mit zu Grabe getragen. "Dass sie das nicht mehr erleben kann", entfährt es ihm still. Umso mehr freut es ihn, dass die Häfler Uferpromade voller Menschen ist, alles auf den Beinen scheint, um sich dieses Ereignis nicht entgehen zu lassen - rund 40000. Aber auch, dass die Aufmerksamkeit für den Verein "Schweizer Kinder" und dessen Engagement so groß ist. "Ich bin ganz platt. So viel Interesse hatte ich nicht erwartet", sagt er. Viele Leute würden sich als "Schweizer Kind" zu erkennen geben. Menschen, die mittlerweile in Stuttgart oder sonstwo leben und - von ihren Erinnerungen überwältigt - heute hier seien.
Auch Kurt Linse weiß noch, wie er am 27. April 1947 mit der "Thurgau" in Romanshorn einlief. Wie er von chromblitzenden "Velos" geblendet wurde, sich über den dicken Kater wunderte, der durch das Haus seiner Gasteltern schlich und offenbar mehr zu essen bekam als die Menschen auf der anderen Bodenseeseite im Nachkriegs-Deutschland. Und wie er das damals schon stark gebrauchte "Globi-Buch" geschenkt bekam, das er bis zum heutigen Tag wie seinen Augapfel hütet und an diesem strahlenden Sonntag bewegt aus seinem Aktenköfferchen zieht.
Während sich draußen auf dem Bodensee Schiff an Schiff reiht, um diese denkwürdige, schwimmende Brücke nach Romanshorn zu schlagen, während das legendäre Flugboot "DO 24" von Iren Dornier gen Seemitte brummt, erzählt Kurt Linse eine Anekdote, die zeigt, wie nah sich "Schweizer Kinder" und eidgenössische Gasteltern fortan waren. Schon 1948 luden die Linses die Gasteltern "von drüben" zur ersten Häfler Kulturwoche nach dem Krieg ein, um sich "ein bisschen zu revanchieren".
An eine Episode, erzählt er, konnte sich die Dame bis zuletzt erinnern. Als der Schweizer Dampfer in Friedrichshafen den Hafen verließ, kletterten Klein-Kurt und sein Vater über die zerstörte Hafenmole bis zur Hafenausfahrt, wo Papa Linse auf der Trompete "Behüt Dich Gott, es wär' so schön" spielte. Darauf schaltete der Schiffskapitän die Motoren ab, bis der letzte Ton verhallt war. Beifall brandete vom Dampfer her, und Linses Gastmama rief immer wieder: "Sin üsere Gäst gsi".
Applaus für die einzigartige, elf Kilometer lange Schiffsbrücke, die vom Ufer aus nur leider schlecht zu sehen ist, kam gestern von vielerlei Seiten. Staatsminister Gernot Erler bat, Deutschland müsse sich die Nachkriegshilfe der Schweizer immer wieder vergegenwärtigen, als "Akt der Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft".
Er würdigte die Initiative der "Schweizer Kinder" von heute, die mit der Schiffsbrücke nicht nur an die Geschehnisse vor 60 Jahren erinnern, sondern auch auf die Hilfsbedürftigkeit von Kindern heute aufmerksam machen wollen. Oberbürgermeister Josef Büchelmeier verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass "wir Solidarität der Menschen über Grenzen hinweg in der ganzen Welt brauchen".
(Katy Cuko/Südkurier v.
21.05.07)
Schiffsbrücke
lockt Tausende zum See
Das
hat der See noch nicht erlebt und der Rest der Welt auch nicht: Über 2000 Boote
mit über 10F000 Menschen an Bord haben gestern eine über elf Kilometer lange
Schiffsbrücke von Friedrichshafen nach Romanshorn geschlagen. Auf dem Wasser
war's ein Erlebnis, an Land gab's nicht ganz so viel zu sehen.
Sie
hupen, tuten, bimmeln aus allen Rohren, in allen Tonlagen, aus allen Richtungen:
Es ist Sonntag, 13.50 Uhr, mitten auf dem See, die Brücke zur Erinnerung an die
Hilfsaktion "Schweizer Kinder" steht und in ihrem Zentrum das
Schweizer Kreuz aus vier Schiffen und dem Flugboot Do 24. Die Operation ist
gelungen, die Organisatoren strahlen mit der Sonne und den über 10F000
Teilnehmern um die Wette. Was als vage Idee der SZ-Redakteurin Hildegard Nagler
vor Monaten begann, ist jetzt Wirklichkeit geworden.
Tag
beginnt mit Gottesdienst
Der
Tag der Schiffsbrücke beginnt in Friedrichshafen mit einem ökumenischen
Gottesdienst in St. Nikolaus. Danach: Festakt an der Schiffsanlegestelle vor dem
Zeppelin Museum. Zunächst trennen rot-weiße Absperrbänder geladene und andere
Gäste, später darf kommen und zuhören, wer will. Und das sind viele Menschen,
Schaulustige, ehemalige "Schweizer Kinder" und politische Prominenz,
darunter Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, und
Landesumweltministerin Tanja Gönner.
Erinnerung
an die Schweizer Hilfe für deutsche und österreichische Kinder vor 60 Jahren
einerseits, Hinweis auf die Tatsache, dass auch heute noch Kinder in aller Welt
Not leiden andererseits - das ist das Ziel der Schiffsbrücke. Ob die
funktioniert, können die Organisatoren ab halb eins in Augenschein nehmen. Da
legen "Hohentwiel", "Thurgau"
und "Austria" begleitet
von fünf Salutschüssen der Bürgergarde in Friedrichshafen ab, um an der Brücke
entlang nach Romanshorn zu fahren.
Schon
bald ist klar: Experiment geglückt. Die Weiße Flotte und Ruderachter,
stattliche Yachten und kleine Jollen, Kiesschiffe und Schlauchboote - alle sind
dabei. Über 2000 Boote zählt die Wasserschutzpolizei später. Der
Flottenaufmarschplan von Reinhard Kloser, Seniorkapitän der
"Hohentwiel", ist aufgegangen.
Obwohl
auf der "Hohentwiel" gerade das Essen serviert wird, stürmt gegen
13.30 Uhr alles an den Bug des ehrwürdigen Dampfers. Der Höhepunkt, das
Schweizer Kreuz, naht. In der Mitte: die Do 24, als Kreuzbalken "Euregia",
"Hohentwiel", "Thurgau" und "Austria". Das Manöver
klappt, allerdings muss die Polizei vorher rund ums Flugboot für Ordnung
sorgen. Einigen Kapitänen war angesichts des silbernen Vogels die Neugierde
durchgegangen. "Ansonsten hat alles prima funktioniert", berichtet später
Heinz Unglert, Chef der Häfler Wasserschutzpolizei, der die Veranstaltung
mitorganisiert und gestern den größten Einsatz seines Lebens geleitet hat.
"Keine besonderen Zwischenfälle."
Auch
der Staatsminister knipst
Nicht
nur auf dem Wasser geht es rund. In der Luft werden unter anderem eine Do 27 und
eine JU-52 gesichtet, der Zeppelin ist mit von der Partie, mindestens vier
Hubschrauber werden gezählt. Die Szenerie beeindruckt, da greift auch
Staatsminister Gernot Erler begeistert zur Digitalkamera.
Marion
Berg, ebenfalls vom Organisationskomitee der Schiffsbrücke und im Hauptberuf Öffentlichkeitsarbeiterin
für den Zeppelin NT, ist völlig begeistert: "Monatelang plant man was.
Dann wird es Wirklichkeit, und alles ist noch viel besser als gedacht.
Wunderbar."
In
Romanshorn werden die Passagierschiffe freudig begrüßt, es folgt ein zweiter
Festakt. "Schweizer Kinder" aus Deutschland und Österreich übergeben
Geschenke für bedürftige Kinder in der Eidgenossenschaft. Mit dabei: der
deutsche Botschafter in Bern, Andreas von Stechow. "Heute ist der Tag, an
dem ich Danke sagen darf." Der Diplomat war vor 60 Jahren selbst ein
Schweizer Kind. "Ich habe damals das große Herz, die menschliche Wärme
der Schweizer gespürt."
Über
180.000 Kinder aus ganz Europa, davon 44.000 aus Deutschland, sind nach dem
Krieg in die Schweiz eingeladen und dort aufgepäppelt worden, viele für einen
Tag, manche für Monate. Daran will die Schiffsbrücke erinnern. Zugleich will
der Verein "Schweizer Kinder" aber auf sein Anliegen aufmerksam
machen, auch heute Kindern in Not zu helfen. Zahlreiche Schiffs- und
Flugzeugbetreiber haben versprochen, einen Teil der gestrigen Einnahmen zu
spenden. Einnahmen erhofft sich der Verein zudem aus dem Verkauf von Luftbildern
der größten Schiffsbrücke der Welt.
Auch an Land verfolgen zahlreiche Menschen das Spektakel. Allein in Friedrichshafen zählt die Polizei 40F000 Schaulustige. Begeistert sind allerdings nicht alle, denn vom Ufer aus ist die Brücke nur schwer zu erkennen. Einen wesentlich besseren Einblick bietet an diesem Tag zum Beispiel der Gehrenberg.
(Schwäbische
Zeitung v. 21.05.07)
"Die
Hilfe von damals wird unvergessen bleiben"
Zwei
Dinge beherrschen die Reden am Tag der Schiffsbrücke 60 Jahre nach dem Beginn
der Hilfsaktion "Schweizer Kinder": der dankbare Blick zurück und die
Verpflichtung, auch in Zukunft für Menschlichkeit und Solidarität einzustehen.
Als
Erster greift in Friedrichshafen der österreichische Generalmajor a.D. Karl
Redl zum Mikrophon. "Für uns Schweizer Kinder ist das heute ein ganz
besonderer Tag", sagt er. "Weil vor 60 Jahren das zarte Pflänzchen
der Menschlichkeit zu keimen begann." Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen
Amt, erinnert daran, dass die Hilfsbereitschaft der Schweizer auch ein erster
Schritt auf Deutschland zu gewesen sei. Ausdrücklich dankt der Vertreter der
Bundesregierung dem Organisationsteam rund um Hildegard Nagler für seinen
Einsatz.
Renate
Bruggmann, Präsidentin des Großes Rates des Kantons Thurgau, erinnert daran,
dass auch 2007 viele Kinder in Not leben müssen. Gebhard Halder, Landtagspräsident
aus Vorarlberg, fordert dazu auf, Probleme nicht nur in der Fremde zu suchen.
Eine Aktion wie die Schiffsbrücke fordere auch dazu auf, die eigene
Gesellschaft kinderfreundlicher zu machen.
Friedrichshafens
Oberbürgermeister Josef Büchelmeier bezeichnet die Hilfe der Schweizer
Gastfamilien für deutsche Kinder vor 60 Jahren als "große Geste der
Menschlichkeit". Und fügt hinzu: "Wir brauchen auch heute die
Solidarität der Menschen über Grenzen hinweg." Am Endes des Festaktes vor
dem Zeppelin Museum erbitten Elmar Fischer, katholischer Bischof der Diözese
Feldkirch, und der evangelische Regionalbischof Ernst Öffner aus Augsburg, den
Segen für die Festgemeinde.
In
Romanshorn erinnert der dortige Gemeindeammann Max Brunner daran, dass die Hilfe
vor 60 Jahren nicht selbstverständlich war. Viele seiner Landleute seien aber
damals über ihren Schatten gesprungen. Der Schweizer Regierungsrat Claudius
Graf-Schelling blickt nach vorne, in dem er Aga Khan zitiert: " Wir haben
den Auftrag, die Welt in einem besseren Zustand zurück zu lassen." Der 20.
Mai 2007 verpflichte alle, die dabei waren, über den Tag hinaus.
Als
zum Ende des Festaktes alle "Schweizer Kinder" die Bühne des
Festzelts am Romanshorner Hafen entern, wird's dort richtig eng. Neben vielen
Geschenken für Kinder überreichen sie eine Friedenslinde, die später im
Seepark der Stadt eingepflanzt werden soll. Und Hildegard Nagler,
Projektleiterin der Schiffsbrücke und zweite Vorsitzende des Vereins
"Schweizer Kinder" verspricht: "Die Hilfe von damals wird
unvergessen bleiben."
Mit über 2000 Schiffen
und Booten wurde gestern zwischen Friedrichshafen und Romanshorndie längste
Schiffsbrücke der Welt gebildet – ein symbolischer Brückenschlag als Dank für
die Hilfe der Schweiz für kriegsgeschädigte Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg
und ein Mahnmal für Kinder in Not.
«Es sind so gute
Leute und sie haben mich lieb. In drei Monaten bin ich wieder bei Euch – aber
dann ganz dick.» Im früheren Vorarlberger Militärkommandanten Generalmajor
Karl Redl kommt angesichts des 60. Jahrestags der Schweizer Kinder-Aktion vieles
wieder hoch. In Schattdorf am Vierwaldstättersee hat das heute in die Jahre
gekommene «Schweizer Kind» 1946 drei Monate bei der Gastfamilie Gamma gelebt.
Als Sechsjähriger hat er den Brief an seine Mutter geschrieben. Ein Jahr später
hat der Vater – kaum aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen – die
Schwester in Buchs von der gleichen Familie abgeholt. Noch heute pflegt der 66-Jährige
den Kontakt zur damaligen Gastfamilie.
Tausende Kinder
aus dem Südwesten Deutschlands und aus Vorarlberg litten damals Hunger und Not.
Der Krieg war gerade vorbei, es gab nichts zu essen. Viele Häuser waren
zerbombt. 60 Jahre später erinnert der deutsche Verein Schweizer Kinder mit dem
Bau der längsten Schiffsbrücke der Welt an die uneigennützige Hilfe der
Schweiz und an die Not der Kinder dieser Welt. 2000 Boote verbinden Deutschland
und die Schweiz zwischen Friedrichshafen und Romanshorn für drei Stunden: Ein
sichtbares Zeichen des Dankes an die Schweiz, initiiert von der 41-jährigen
Journalistin Hildegard Nagler. Sie hat 2003 die Geschichte der «Schweizer
Kinder» aus der Vergessenheit geholt und alle Behörden und unzählige
Freiwillige für den symbolischen Brückenschlag mit ins Boot geholt.
Das gestrige
Bilderbuch-Szenario hat das Organisationskomitee gleich mitbestellt. Ein
strahlend blauer Himmel, der schneebedeckte Alpstein, der von ferne grüsst,
spielende Blasmusikkapellen, tutende Nebelhörner. «Es ist unglaublich, was da
heute passiert», sagt Karl Redl und schüttelt den Kopf angesichts des
Menschenauflaufs. Warum löst eine Schiffsbrücke ein derart großes Echo aus?
Die Antwort bleibt er den Ehrengästen und den dichten Menschentrauben am
deutschen Ufer nicht schuldig. «Nach dem Krieg hat das zarte Pflänzchen der
Menschlichkeit über den Bodensee und über Grenzen hinweg wieder zu keimen
begonnen.»
Ehemalige «Schweizer
Kinder» verfolgen auf der MS Thurgau den Weltrekord mit. Anita Bühner aus
Ravensburg erinnert sich an die Überfahrt vor 60 Jahren von Friedrichshafen
nach Romanshorn. Bei einem Zahnarzt sei sie einen Tag lang Gast gewesen. «Ich
wurde wohl ausgewählt, weil ich so mager und unterernährt war.» Mit Rock,
Bluse, weißen Socken und Sandalen ausgerüstet, sei sie abends wieder nach
Hause gefahren, sagt die heute 69-Jährige. Viele aus der Klasse seien für die
«Schweizer Kinder»-Aktion ausgewählt worden. Helga König (69) kam als Neunjährige
in die Schweiz. Mit dem Traktor wurde sie in Romanshorn abgeholt und zu einem
Bauerngehöft in Hagenwil gebracht. Später sei sie noch ein paarmal zu den
Gasteltern gefahren, «aber irgendwann ist der Kontakt dann abgebrochen».
181 000 Kinder
habe die Schweiz im Rahmen der Grenzlandhilfe zwischen 1946 und 1956
aufgenommen, ruft der deutsche Staatsminister Gernot Ehrler am Festakt in
Friedrichshafen in Erinnerung. Die MS Thurgau, die «Hohentwiel» und die «Austria»
fahren die Schiffsparade ab, begleitet von Böllerschüssen. In der Seemitte
bilden sie zusammen mit dem gewasserten Flugboot Do 24 ein Schweizer Kreuz, überflogen
von Ju 52, Do 27 und dem Zeppelin.
Im Festzelt in Romanshorn übergeben die Enkelkinder von «Schweizer Kindern» der anwesenden Gastmutter eine Sonnenblume – eine Geste des Dankes für ein vor 60 Jahren empfangenes Zeichen der Hoffnung. Auch Andreas von Stechow, deutscher Botschafter in Bern, erinnert an das große Herz der Schweiz: 1948 selber aufgenommen, will das ehemalige «Schweizer Kind» jetzt den Dank persönlich abstatten.
(Christoph Zweili/St,
Galler Tagblatt v. 21.05.07)
Sonntagvormittag,
11 Uhr. Nichts deutet am Bahnhofplatz darauf hin, dass heute ein spezieller Tag
ist und Romanshorn zum Gedenken an den Besuch von Kriegskindern in der Schweiz
durch eine Schiffsbrücke mit Friedrichshafen verbunden werden soll. Eine Gruppe
von Velotouristen konsultiert die Karte, die Gartenbeizen sind gut besetzt. Am
Bahnhof mit dem Mostindien-Express dann aber ein erster Vorbote: «Do machets es
Fescht!», erklärt eine junge Mutter ihrem Sprössling.
Etwas später: Mit
Kind und Kegel flanieren die Menschen – auffällig oft hört man Hochdeutsch
– der Seepromenade entlang, die Bänkli sind gut besetzt. Wer kein Fernglas
dabei hat, sieht vorderhand nicht viel. Zum Handkuss kommen die Kleintierzüchter,
denn so manche Familie vertreibt sich die Zeit zunächst mit dem Bestaunen von
Kaninchen, Tauben oder Zebrafinken. «Am Viertel ab zwölfli ständ sie, hetts
gheisse!», sagt ein Mann zu seiner Frau. Und tatsächlich: Kurz nach 12 Uhr hat
die Schiffsbrücke Konturen angenommen. Für den Brückenkopf nach Romanshorn
fehlt aber noch einiges.
Standortwechsel,
Mostindien-Express. Die 79-jährige Amriswilerin Silvia Bruggmann unterhält
sich mit Gerda Leipold vom Eisenbahnmuseum Locorama. Bruggmanns Eltern nahmen
damals ein Schweizer Kind auf. Ihre Mutter habe halt ein gutes Herz gehabt. In
der Zwischenzeit strömen immer mehr Menschen ans Seeufer – und die Schiffsbrücke
steht. Etwas verspätet, teils mit einigem Abstand zwischen den Schiffen und
wegen der Kursschiffe nicht ganz bis ans Ufer reichend, aber sie steht. «Drüberlaufen
könnte man nicht», stellt ein Beobachter fest. Trotzdem starten immer wieder
Helikopter zu Rundflügen. Teil der Schiffsbrücke wären auch die Floß-Chaoten
gerne gewesen. Ihr Floß steht aber auf der Seeparkwiese, daneben eine Tafel: «Dank
der Thurgauer Seepolizei müssen wir auf dem Trockenen bleiben.» Michael Helg
findet es schade, dass man in der Schweiz mit Verweis darauf, dieser Schwimmkörper
sei nicht für den See gedacht, pingelig getan habe.
14.45 Uhr: Die
Militärmusik Vorarlberg spielt, dann der Festakt. Die Kinder hätten nach dem
Krieg zur Öffnung der Grenze entscheidend beigetragen, sagt Gemeindeammann Max
Brunner. Andreas von Stechow, Leiter der deutschen Botschaft und selbst
ehemaliges «Schweizer Kind», stattet seinen Dank ab: «Die Schweizer haben
damals erkannt, dass Europa wieder eine Zukunft brauchte und dass die Kinder
genau diese Zukunft waren.» Regierungsrat Claudius Graf betont, ein solcher
Anlass sei auch Verpflichtung, weiter für ein Europa des Friedens einzustehen.
Und so endet ein Tag in dankbarer Erinnerung an große mitmenschliche Gesten
nach dem Krieg. An die Schiffsbrücke erinnern soll künftig eine Friedenslinde
im Seepark, die Max Brunner vom Verein Schweizer Kinder erhielt.
(Daniel Walt/St.
Galler Tagblatt v. 21.05.07)