Die Hohentwiel macht einen Landausflug

Der historische Schaufelraddampfer Hohentwiel ist das bekannteste und schönste Schiff auf dem Bodensee. Nun ist es das erste Mal seit neun Jahren zur Generalüberholung wieder an Land geholt worden - ein Vorgang, der alle Beteiligte in Hochspannung versetzte.

Schneckentempo ist noch schnell dagegen: Ganz vorsichtig wird die Hohentwiel aus dem grünlich schimmernden Bodensee gezogen. Am Kai steht gespannt ihr Kapitän: Adolf Franz Konstatzky. „Jetzt entscheidet es sich, ob das Schiff ohne Schaden an Land kommt“, sagt er. 

Sein Blick ruht fast schon beschwörend auf den Schaufelrädern des fast 100 Jahre alten Dampfers. Dort ist die Hohentwiel am breitesten. Auf dem Weg in die Werfthalle am Romanshorner Hafen könnte es knapp werden. Eine Zentimeterarbeit. 

Langsam verschwindet Stück um Stück des 57 Meter langen Schiffes in der Halle. Sie gehört der Schweizerischen Bodenseeschifffahrt. Das Unternehmen hat überraschend den Zuschlag für den Renommierauftrag erhalten. Immerhin geht es um die Generalüberholung eines Vorzeigeschiffs. Der Auftrag wäre auch der Bodan-Werft in Kressbronn gelegen gekommen. Als die Hohentwiel vor neun Jahren schon einmal aus dem Wasser kam, hatten die Kressbronner die Ehre gehabt. Auch dieses Mal lieferten sie ein Angebot ab. Aber jenes der Eidgenossen war offenbar besser.

 „Wir sparen in Romanshorn enorm“, so Kapitän Konstatzky. Er lässt sein Schiff nicht aus den Augen. Jetzt ist der Riesenschlitten zu sehen, auf dem die Hohentwiel aus dem Wasser gezogen wird. Knirschen die Rumpfplatten? Springen Nieten? Ein Schiff wie dieser alte Dampfer kann sich verziehen, wenn statt Wasser unter dem Kiel nur noch eine kleine Auflagefläche vorhanden ist. Die Folgen wären höchst unangenehm. Aus einer Generalüberholung würde eine Generalreparatur. „Der Saison-Auftakt Ende April ließe sich dann nicht halten“, erklärt Konstatzky.

Neben dem Kapitän hat sich inzwischen Benno Gmür aufgebaut. Er leitet seit letztem Jahr die Schweizerische Bodenseeschifffahrt. Womöglich betet der kühle Manager innerlich, dass alles gut geht. Er will das jahrelang marode Unternehmen wieder nach vorne bringen. Eine Panne ausgerechnet bei der Hohentwiel wäre das letzte, was Gmür brauchen kann. Zumal sich die Werft beim Ergattern des Auftrags womöglich weit aus dem Fenster gelehnt hat. Wenigstens gibt es unter Eingeweihten Zweifel, ob die Kalkulation der Schweizerischen Bodenseeschifffahrt kostendeckend ist. Auf Anfrage meint Geschäftsführer Gmür, dass er zu Einzelheiten nichts sage. Dafür wird nun drei Wochen lang die Hohentwiel seine Werfthalle schmücken.

Der Dampfer soll geputzt und frisch gestrichen werden. Spezialisten überprüfen mittels Ultraschall, ob die Rumpfplatten noch in Ordnung sind. Das Material ist original. Und die Hohentwiel hat in ihrer Geschichte einiges mitgemacht. Knapp überlebte sie den Zweiten Weltkrieg. 1962 wurde das Schiff ausgemustert. Dann dümpelte es jahrelang als Clubheim des Bregenzer Segelclubs vor sich hin. Aus dem stolzen Schaufelraddampfer der Königlich Württembergischen Staatsbahnen wurde ein Schrotthaufen – bis sich einige Enthusiasten fanden, die den traurigen Rest retten wollten. Sie gründeten einen Verein, das Internationale Bodensee Schifffahrtsmuseum. Schließlich glückte das Projekt. 1990 lief die Hohentwiel zu ihrer zweiten Jungfernfahrt aus.

Stolz berichtet Kapitän Konstatzky von den Zahlen. 210 000 Kilometer habe die Hohentwiel seitdem zurückgelegt und insgesamt 500 000 Fahrgäste transportiert. „Ohne jegliche Panne“, betont Konstatzky. Respekt, vor allem wenn man weiß, wie hoch die Wellen auf dem Bodensee werden können – und wie die Kolbenmaschine und die beiden Schaufelräder dann arbeiten müssen.

Auf die Sicherheit wird übrigens Sascha Müller von der Schiffsklassifikationsgesellschaft Germanischen Lloyd ein besonderes Auge haben. Probleme erwartet er nicht. Das meiste bei der Überholung sei Routine. Nur am Ruder wird ein Lager ausgetauscht. Aber dazu muss die Hohentwiel erst völlig aus dem Wasser sein. Der Bug erscheint zuletzt. Einige Muscheln und Algenbewuchs werden sichtbar. Vom Schiff ruft ein Besatzungsmitglied: „Noch sieben Zentimeter Platz." Kapitän Konstatzky scheint zu schwitzen. Die Stahlseile, an denen der Schiffsschlitten hängt, ziehen unaufhaltsam. Klappt es vollends? Es klappt. „Super, Männer", ruft der Kapitän. Dann schließen sich die Riesentüren der 65 Meter hohen Werfthalle. Die Hohentwiel ist darin verschwunden.

(Uwe Jauß/Schwäbische Zeitung v. 25.03.10) 

 

Landgang für die «Hohentwiel»

Die «Hohentwiel», das einzige Dampfschiff auf dem Bodensee, wurde gestern in Romanshorn ausgewassert. In der Werft der Bodensee-Schifffahrt AG steht ihr eine Großrevision bevor.

56,84 Meter lang und 13 Meter breit ist die «Hohentwiel», einziger noch verbliebener Raddampfer auf dem Bodensee. Mit ihren Massen passt die alte Dame, welche am 1. Mai 1913 auf Jungfernfahrt ging, nur knapp in die Werft der Bodensee-Schifffahrt AG (SBS) in Romanshorn. Auch in Sachen Höhe der «Hohentwiel» stieß die Werft bei der gestrigen Auswasserung des Dampfers an ihre Limiten.

Die Romanshorner Werft hat ihre Konkurrenz bei diesem Auftrag ausgestochen, weil das Gesamtpaket stimmte. Die «Hohentwiel» ist am Samstag, 17. April, von 11 bis 17 Uhr in der Romanshorner Werft zu besichtigen.

(Daniel Walt/St. Galler Tagblatt v. 25.03.10)

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