Mozart auf
dem Wolfgang-See
Das Literaturschiff gibt
sich wienerisch mit Lesungen von Eva Baronsky, Lilian Faschinger und Josef
Haslinger
Einmal auf dem Bodensee nach Wien reisen?
Geografisch unmöglich, literarisch kein Problem! Ganz im Zeichen des diesjährigen
Bodenseefestivals stehend, drehte sich auch auf dem Literaturschiff alles um
diese Stadt. Pünktlich um 18 Uhr legte am vergangenen Freitag der historische
Schaufelraddampfer „Hohentwiel“
in Friedrichshafen ab und fuhr auf den See.
Unter den Passagieren befinden sich die
Schriftsteller Eva Baronsky, Lilian Faschinger und Josef Haslinger. Mit ihnen
reisen die drei männlichen Protagonisten Kurt, Matthias und Wolfgang. Drei Männer
am selben Schauplatz: Wien. Drei Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten:
Der antiquierte Wolfgang Amadeus Mozart erlebt als spontan um mehr als 200 Jahre
durch die Zeit Gereister das moderne Wien. Matthias hingegen hat einen
vollkommen anderen Blick auf Wien und die Menschen. Voller Missachtung und
Herablassung schaut er auf seine Mitmenschen und behandelt vor allem die Frauen
wie den letzten Dreck. Kurt muss nach einem grausamen Terroranschlag mit dem
sinnlosen Tod seines Sohnes Fred klarkommen, eingebettet in ein keineswegs nur
fiktives Szenario.
Doch zunächst liest Josef Haslinger eine
vergleichsweise harmlose Passage aus seinem 1995 veröffentlichten Thriller
„Opernball“, in der er das Zusammenleben von Vater und Sohn mit all seinen
Schwierigkeiten detailliert schildert. Die komplizierten Familienverhältnisse
veranlassen Vater Kurt schließlich, für seinen Sohn Fred eine eigene Wohnung
anzumieten. Beide arbeiten beim Fernsehen und Kurt soll unbedingt die Rechte für
die Übertragung des Wiener Opernballs erwirken. Einem geschickten Kameraschwenk
gleich, lässt Haslinger die Passage abrupt abbrechen und setzt seine Lesung am
Anfang des Buches fort: „Fred ist tot. … Fred wurde erst mein Sohn, als er
siebzehn Jahre und heroinsüchtig war. … Und dann wurde er ermordet. Wir alle
sahen zu und konnten nichts tun.“ Mit jedem Wort, das Haslinger liest, steigt
die Beklommenheit. Der Zuhörer findet sich in der beängstigenden Situation des
Vaters wieder, seinem inneren Kampf, das Unabänderliche zu akzeptieren. Und so
sehr der politisch motivierte Giftgasanschlag auf die Wiener Oper auch erfunden
sein mag, erinnert er doch unweigerlich an inzwischen tatsächlich geschehene
Ereignisse.
Ebenfalls fernab vom volkstümlichen Wien und
intellektueller Kaffeehausatmosphäre angesiedelt ist Lilian Faschingers Roman
„Stadt der Verlierer“. „Ich beschreibe hier erstmals eine männliche
Hauptfigur, die ins Pathologische abgleitet“, sagt die Österreicherin und
liefert eine eindrucksvolle Lesung mit gesungenen Springsteen-Einlagen.
Befremdlich und unsympathisch mag einem der Ich-Erzähler Matthias erscheinen,
dem Faschinger ihre ausdrucksstarke Stimme verleiht. Ihm fehlt jegliche Achtung
für sein menschliches Gegenüber, insbesondere dem weiblichen. „Man muss die
Leute meiden“, sagt Matthias, der sich dann aber doch vehement für die
Bergung einer scheinbar toten Frau einsetzt, die er im Wald gefunden hat und die
gar nicht tot ist …
Überhaupt nicht tot ist offensichtlich auch
der 35jährige Wolfgang Amadeus Mozart – nur ziemlich irritiert. Gerade
gestorben, findet er sich an einem Ort wieder, der in ihm Befremden und
Verwunderung auslöst. Die himmlischen Heerscharen hat er sich zwar anders
vorgestellt, doch weiß er mit der Aufschrift auf dem T-Shirt des einen Engels
sofort etwas anzufangen: Eva Baronsky hält während der heiter amüsanten
Lesung aus ihrem Erstlingswerk „Herr Mozart wacht auf“ ein „AC/DC“-T-Shirt
in die Höhe. „Adorate cherubim, Dominum Cantu“, komponiert ihr Protagonist
Wolfgang spontan, der teils neugierig, teils tollpatschig durch das Wien des
Jahres 2006 stolpert.
Von köstlich leicht bis bedrohlich ernst
reicht die literarische wienerisch geprägte Kost, die aber auch im bittersten
Fall mit einer Brise Humor gewürzt ist. Ein exzellent zusammengestelltes Menü,
das bereits Appetit auf das nächste macht.
(Andrea Büchner/Südkurier v. 31.05.11)