Wie
ich
die Seegfrörne erlebte
Ab
Mitte Januar trug der gesamte Untersee eine tragfähige
Eisdecke. Wir
Schüler der 6. Klasse aus der Sonnenhalde-Schule überquerten mit
unserem
Lehrer, Herrn Glaeser am 22. Januar 1963 den See von der Insel
Reichenau nach
Mannenbach. Dabei mussten wir uns allerdings genau an den von den
Eismeistern
abgesteckten, mit Tannenbäumchen markierten Weg halten. Von
Zöllnern und
Grenzschutzbeamten war auf beiden Seiten nichts zu sehen. Selbst wenn,
wurden
die Grenzkontrollen damals sehr locker gehandhabt. Nachdem wir uns in
einem
Gasthaus mit einer warmen Suppe gestärkt hatten, ging es mit dem Zug
zurück
nach Konstanz.
Nun
begann auch der Überlingersee zuzufrieren. Schon im letzten
Januardrittel hatte
sich im westlichen Teil eine geschlossene Eisdecke gebildet und die
alte "Bodman",
die damals noch den Pendelverkehr nach Ludwigshafen besorgte, saß
ebenfalls in
ihrem Heimathafen fest. Am 1. Februar verkehrte das aus
Friedrichshafen
abgezogene Motorboot "Habicht"
zum letzten Mal zwischen Überlingen und Dingelsdorf. Kapitïän Franz
Knecht und
Schiffsführer Oskar Reichle wollten kein weiteres Risiko mehr
eingehen, da sich
das Eis schon bis auf die Höhe der Insel Mainau und Unteruhldingen
auszudehnen
begann. Die Kurse wurden aufgegeben und die "Habicht" kämpfte sich in
zweistündiger Fahrt nach Konstanz zurück. Noch zwei Tage länger
behaupten
konnte sich, jetzt anstelle der "Kempten" das mit einem weniger
empfindlichen Doppelschrauben-Antrieb eingesetzte Motorschiff 'Schienerberg" zwischen Konstanz und Meersburg. Verzweifelt
kämpften
auch die Autofähren gegen das Eis an. Die älteren, noch mit
Doppelschrauben ausgerüsteten
Fährschiffe, waren Tag und Nacht unterwegs, um den neueren, mit den
empfindlichen Voith-Schneider-Propellern ausgerüsteten Schiffen eine
Fahrrinne
freizuhalten. Aber kaum war das Eis aufgebrochen, schloss sich hinter
dem
Propellerstrom die Fahrrinne wieder. Am 6. Februar mussten auch die
Fährschiffe
den Betrieb einstellen. Genau an diesem Tag hatte eine Gruppe Hagnauer
zum
ersten Mal den Obersee nach Güttingen überquert. Der Februar
brachte wieder
Sonnenschein, aber es blieb weiterhin sehr kalt. An den Wochenenden
pilgerte
eine schier unübersehbare Menschenmenge von Staad hinüber nach
Meersburg, das
im Schein der Wintersonne über die sich stumm und unbeweglich
ausbreitende weiße
Fläche leuchtete. In der Ferne wirkten die Menschen wie eine große,
ungeordnete Ameisenschar. An der Meersburger Promenade hatten
sämtliche
Cafes und Weinstuben ihren Winterschlaf vorzeitig beendet. Der
Witterung
entsprechend, sorgten vor allem Kaffee, Glühwein, aber auch
hochprozentige Getränke
für einen, wenige Wochen zuvor noch nicht für möglich gehaltenen
Umsatz! Auch
ich riskierte damals eine Überfahrt mit dem Fahrrad, aber nachdem es
mich
zweimal nachhaltig "auf den Hintern gesetzt hatte", zog ich es vor,
die
Expedition abzubrechen. Beim zweiten "Ausrutscher" schlitterte
das Fahrrad meterweit davon, aber außer einer leichten Verstauchung
war ich glücklicherweise
heil geblieben!
Der
Konstanzer Trichter war nur für wenige Tage ganz zugefroren. Der
Hafenpegel
zeigte einen Wert von 2,38 m an und in dem ab dem Seezeichen Nr. 3
freien Wasser
tummelten sich Hunderte von Belchen, Schwänen und Blesshühnern, die
von der
Anteil nehmenden Bevölkerung gefüttert wurden. Von Zeit zu Zeit
kreiste auch
ein Sportflugzeug des Typs "Piper-Supercup" über dem Trichter und
warf für die notleidende Tierwelt kiloweise Rindertalg ab. Auch ich
beteiligte
mich mit Brotresten an diesen Aktionen und einmal glitt beim
Zeppelindenkmal
eine Frau auf dem gefrorenen Untergrund aus und hätte beinahe ein
unfreiwilliges Bad genommen. Der sogenannte "Rutsch" machte seinem
Namen
alle Ehre.
Die
anderen Ereignisse wie die Eisprozession von Hagnau nach
Münsterlingen und die
Veranstaltungen der Narrengesellschaften auf dem Eis, entnahm ich nur
aus Presse
und Rundfunk. Aber fest in meinem Gedächtnis haften geblieben ist mir
ein
abgebildetes Foto von der Seeprozession mit einer Spruchtafel, die ein
Ministrant den vier geistlichen Würdenträgern mit der
Johannesbüste
voraustrug:
Herr - du kannst Brücken bauen aus Eis und Frost -
Darum bitten wir dich im Vertrauen -
Baue eine Brücke von West nach Ost -
Damit die Menschen die nach den Sternen streben -
Hier auf Erden können in Frieden leben!
(Karl F. Fritz)