Geplünderte «Jura» retten

Kanton Thurgau stellt Wrack des 1864 vor Bottighofen gesunkenen Bodensee-Dampfschiffes unter Denkmalschutz - Weg frei für eine Bergung

Die Thurgauer Regierung stellt das Schiffswrack im Bodensee, die 1864 vor Bottighofen gesunkene «Jura», unter Schutz. Das Wrack ist seit Jahren zum Exportartikel diebischer Taucher geworden. «Es ist die einzige Chance, um die ‹Jura› vor weiteren Plünderungen zu bewahren», unterstützt Kantonsarchäologe Jost Bürgi die Rettungsmaßnahmen der Thurgauer Regierung. Wie die Kantonsregierung gestern mitteilte, hat sie das gesunkene Dampfschiff unter Denkmalschutz stellen lassen.

Grünes Licht für Bergung

Die Kantonsregierung könne sich bei ihrem Vorhaben auf Bestimmungen des schweizerischen Zivilgesetzbuches und des kantonalen Gesetzes zum Schutz und zur Pflege der Natur und Heimat berufen, wie Bürgi auf Anfrage sagte (vgl. Stichwort «Herrenlose Schiffe»). Damit habe sie zugleich grünes Licht gegeben für eine Bergung der «Jura». Das Thurgauer Amt für Archäologie kann laut Mitteilung «Dritten die Untersuchung und allenfalls die Bergung des Dampfschiffes gestatten». Die Kostenfrage sei jedoch noch kein Thema gewesen, wie Bürgi erklärt.

Ein Matrose starb

Am 12. Februar 1864 stieß die «Jura» der Königlich-Bayerischen Regierung bei Nebel vor Bottighofen mit dem schweizerischen Dampfboot «Zürich» zusammen und sank innerhalb weniger Minuten. Dabei kam ein Matrose ums Leben. Ein Schiffsjunge erlitt einen Armbruch. Die Passagiere und weitere Besatzungsmitglieder konnten sich auf die «Zürich» retten, die bereits 1861 bei einer ähnlichen Havarie vor Rorschach das bayerische Dampfschiff «Ludwig» versenkt hatte. Von der Ladung an Seiden- und Baumwollstoffen kam ein großer Teil schwimmend an die Oberfläche. Angeblich rund fünf Tonnen Eisenwaren und das Gepäck der Passagiere gingen dagegen mit dem Schiff unter. Für den Thurgauer Kantonsarchäologen Jost Bürgi ist das mit zwei Radkästen versehene Glattdeckdampfschiff «Jura» ein «eigentliches Unterwasser-Industriedenkmal». Die «Jura» wurde 1854 bei Escher-Wyss in Zürich gebaut und verkehrte zuerst auf dem Bieler See. Die Königlich-Bayerische Regierung kaufte das Schiff im Jahr 1862, ließ es in seine Bestandteile zerlegen und für den Fahrdienst auf dem Bodensee in Lindau (D) wieder zusammenbauen.

Hunderte von Objekten im See

Neben der «Jura» sind im oberen und unteren Teil des Bodensees, aber auch im Seerhein noch zahlreiche andere Schiffswracks geortet worden. Allein im Uferbereich des Überlinger Sees vermuten Schiffsarchäologen 50 Wracks und hunderte von ungeklärten Objekten. Die ältesten bis jetzt gefundenen Schiffe stammen aus dem Mittelalter. Einbäume oder römische Schiffe müssen zwar auch im Bodensee liegen, warten jedoch noch auf ihre Entdeckung. Die Forscher vom Bodensee arbeiten bereits seit 10 Jahren mit dem Seenforschungsinstitut in Langenargen zusammen. Dieses besitzt ein Forschungsschiff mit einem Sight-Scan-Sonar, das ähnliche Bilder liefert wie ein Ultraschallgerät. Mit dieser Technik kann der Seeboden systematisch auf Schiffswracks abgesucht werden. Die Unterwasserarchäologen bemühen sich nach Angaben der Verantwortlichen in Langenargen auch um eine gute Zusammenarbeit mit den Sporttauchern. Diese seien wichtige Verbündete, wenn es um die Entdeckung und Meldung von Funden gehe. Aus gutem Grund: Was bei fehlender Sensibilität im Umgang mit Wracks passieren kann, zeigt das Beispiel der «Jura» im Bodensee.

Stichwort:

Herrenlose Schiffe

Die «Jura» gilt als kulturhistorisches Objekt von hoher industrie-archäologischer Bedeutung. «Mit dem Schutz des Dampfschiffes hat der Kanton Thurgau auch das Wrack in Besitz genommen,» wie Kantonsarchäologe Jost Bürgi erklärt. Der Kanton stütze sich dabei unter anderem auf zwei Bestimmungen im Zivilgesetzbuch (ZGB). Laut Artikel 718 könnten «herrenlose Güter dadurch erworben werden, dass jemand sie in Besitz nimmt». Handle es sich aber um «herrenlose Naturkörper oder Altertümer von erheblichem wissenschaftlichem Wert», so gelangten sie nach Artikel 724 «ins Eigentum des Kantons, in dessen Gebiet sie gefunden worden sind». Dieser Artikel gilt laut Bürgi auch für Gegenstände, die erst im Laufe des Mittelalters oder der letzten Jahrhunderte im Bodensee verschwanden oder vergraben worden sind.

Diebische Taucher

In welchem Zustand sich das 1864 vor Bottighofen gesunkene Dampfschiff «Jura» befindet, schildert der Taucher Hans Gerber gegenüber dem Tagblatt (Ausgabe vom 22.7.2003). Er sagte: «An dem Wrack ist nichts mehr dran, was man demontieren könnte.» Diebische Taucher haben seit der Ortung vor rund vier Jahrzehnten alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Schon vor Jahrzehnten verschwanden die wertvolle Schiffsglocke, der Tafelservice, Essbesteck und der Schraubenschlüsselsatz vom Maschinenraum. Inzwischen sind auch die Bullaugen und die Kurbelwelle der Dampfmaschine ausgebaut worden. Nach einem Bericht des Vorarlberger «Hohentwiel»-Kapitäns und Spezialisten für alte Raddampfer, Reinhard Kloser, wird der «Jura» noch auf andere Weise zugesetzt: «Viele Bootsführer, die die Taucher absetzen, werfen ihren Anker einfach ins Wasser und ziehen daran, bis er irgendwo einhakt. Meistens verfängt er sich in Teilen des Wracks.» Dabei komme es immer wieder zu Beschädigungen des noch vorhandenen Schiffswracks, wie Kloser sagt.

(St. Galler Tagblatt v. 10.12.04)

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